Photogrammetrie [3]

[507] Photogrammetrie. In den letzten Jahren hat sich, angeregt durch die besonderen Anforderungen des Krieges, neben der terrestrischen Phototopographie die Photogrammetrie aus Luftfahrzeugen in bedeutsamer Weise weiter entwickelt.

1. Terrestrische Photogrammetrie. Im Bau der instrumentellen Hilfsmittel sind wesentliche Fortschritte nicht zu verzeichnen. Für Ingenieurvorarbeiten und topographische Aufnahmen in Kolonialländern sind zweckmäßige Typen des Photogrammeters (s. Bd. 7, S. 115) von Mailhat [1], Hohenner [2] und Hugershoff [3] konstruiert worden. Das letzterwähnte Instrument ist in Fig. 1 dargestellt. Es besitzt eine Bildweite von 120 mm, verwendet Platten im Format 9 × 12 cm und unterscheidet sich von dem ebenfalls sehr handlichen Instrument Finsterwalders (s. Bd. 7, S. 115), durch einen vollständigen Theodolitaufsatz, der sowohl stereophotogrammetrische Aufnahmen als auch tachymetrische Messungen zuläßt. – Neue Formen des Cylindrographen (s. Bd. 2, S. 488) bezw. des Cyklographen (s. Bd. 2, S. 485), sind von Pelletan [1] und Prohaska [4] angegeben worden. Pelletan [1] konstruierte auch eine Art Stereoautographen nach dem von Deville [5] angegebenen Prinzip. Neueres über den v. Orelschen Stereoautographen und seine Fehlertheorie s. in [6].

Ueber die mit der Meßtisch- und Stereophotogrammetrie in der Praxis erreichte Genauigkeit (vgl. Bd. 7, S. 118) s. auch [7]. Die Stereoautographie (s. Ergbd. I, S. 600) hat sich in der Praxis[507] im allgemeinen gut bewährt. Die Methode leidet Vorzügliches bei technischen Aufnahmen großen Maßstabes. Bei Arbeiten in kleinen (topographischen) Maßstäben hängt die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens sehr von der Geländeausformung ab; in flachen Gebieten versagt es naturgemäß ganz. Näheres hierüber s. in [8]. Leider verhindert die Kostspieligkeit der zur Verwendung kommenden Apparate, insbesondere des Stereoautographen, eine allgemeine Anwendung des Verfahrens. Zu seiner Ausnutzung ist deshalb vom Zeiß-Werk eine besondere Gesellschaft begründet worden. Vgl. darüber [9].

Außer zur Herstellung von Karten und Plänen für technische und wissenschaftliche Zwecke (Gletscherforschung, s. [10]), hat die Photogrammetrie neuerdings erfolgreiche Anwendung gefunden zum Studium der Bahnen fliegender Geschosse [11], als Hilfsmittel bei kriminalistischen Tatbestandsaufnahmen [12] und zur Ausmessung von stereoskopischen Röntgenaufnahmen [13].

2. Photogrammetrie aus Luftfahrzeugen. Die in der (kriegsmäßigen) Praxis zunächst angewandte Methode zur kartographischen Verwertung von Meßbildern aus Luftfahrzeugen bediente sich fast ausnahmslos des Umbildungsverfahrens, bei dem die mehr oder weniger nach unten geneigten Aufnahmen in solche transformiert wurden, wie man sie bei einer Aufnahme senkrecht nach unten, also mit horizontaler Platte, erhalten würde. Eine solche Aufnahme würde, völlig horizontales und ebenes Gelände vorausgesetzt, unmittelbar eine »Bildkarte« mit einheitlichem und leicht zu bestimmendem Maßstab ergeben. (Vgl. Ergbd. I, S. 601.) Die Umbildung geschah zumeist generell auf photomechanischem Wege, nämlich durch Projektion (Scheimpflugs Photoperspektograph oder ähnliche »Entzerrungsgeräte«), und zwar entweder durch Einpassen des projizierten Bildes zwischen drei ihrer Lage nach bekannte Punkte oder (am wenigsten genau) unter Benutzung des mit Hilfe von Pendelvorrichtungen festgelegten Neigungs- (und Verkantungs-) winkels der Aufnahme. Häufig wurde auch die Umbildung punktweise vorgenommen mit Hilfe perspektivischer Netze [14], zu deren Herstellung mindestens vier Punkte ihrer Lage nach (in der Karte) bekannt sein müssen. – Alle diese Methoden geben um so ungenauere Resultate, je bergiger das aufgenommene Gelände ist; die Ermittlung von Höhenunterschieden lassen sie überhaupt nicht zu. – Das von Scheimpflug angegebene Verfahren, aus zwei sich übergreifenden Aufnahmen eines beliebigen Geländes mittels eines »Zonentransformators« eine Schichtlinienkarte herzustellen, hat sich bisher praktisch nicht durchführen lassen. Auch die von Dolezal und Gasser vorgeschlagene Verwertung von Stereoaufnahmen aus Lenkballonen mittels Stereokomparators oder Stereoautographen haben noch nicht zu brauchbaren Resultaten geführt. Wohl aber ist es gelungen, in Verfolgung eines Finsterwalderschen Vorschlages [15], auf Grund von drei bekannten Punkten die Koordinaten des Standortes auf verhältnismäßig einfache Weise zu berechnen und hierauf die Neigung, Verkantung und Richtung der Aufnahme mechanisch zu ermitteln [16], so daß damit die Grundlage gegeben ist zur Bestimmung der Lage und Höhe beliebig vieler, auf mindestens zwei Platten abgebildeter Punkte durch Vorwärtseinschneiden (vgl. Bd. 7, S. 113). Die Richtungs- und Tiefenwinkel der Bildpunkte ebenso wie die Orientierungselemente der Platten werden diesen dabei unmittelbar entnommen mit Hilfe eines Bildmeßtheodolits.

Fig. 2 zeigt die für dieses Verfahren verwendete Meßkammer, die bei der Aufnahme frei in der Hand gehalten wird. Die aus Leichtmetall hergestellte Kammer besitzt den bei Photogrammetern notwendigen mit Meßmarken versehenen Anlegerahmen für die Platten (vgl. Bd. 7, S. 115); sie ist mit einem Goerzschen Geotar von 165 mm Brennweite ausgerüstet und für Platten vom Format 13 × 18 cm eingerichtet. – Der Bildmeßtheodolit (Fig. 3) besteht aus zwei Hauptteilen, einem für sich gelagerten Bildträger und einem Zahnkreistheodolit, beide auf gemeinsamem Unterbau. Der Bildträger besitzt verschiedene Einrichtungen, um die auszumessende Platte so vor das Fernrohr des Theodolits zu bringen, daß sie dieselbe Lage zum Horizont einnimmt, die sie im Augenblick der Aufnahme innehatte. Ein Support ermöglicht es, die Platte in dieselbe Lage zum Schnittpunkt der Theodolitachsen zu bringen, die sie in der Aufnahmekammer zum hinteren Hauptpunkt des Objektivs hatte. Die Platte wird durch eine Linse hindurch beobachtet. – Die von Hugershoff angegebenen Instrumente [16] stellt G. Heyde in Dresden her. Ein Bildmeßtheodolit nach dem Koppeschen Prinzip (vgl. Bd. 7, S. 116) ist von Pulfrich (Zeiß-Werk in Jena) konstruiert worden [17]. Beide Firmen sind zurzeit bemüht, die Planentwicklung aus den im Flugzeuge gewonnenen Meßbildern zu automatisieren.[508]

Die mit dem angedeuteten Verfahren erreichbare Genauigkeit entspricht derjenigen, die der terrestrischen Photogrammetrie eigentümlich ist (vgl. Bd. 7, S. 118). Die ausgedehnten praktischen Versuche haben seine Wirtschaftlichkeit erwiesen, so daß seine Anwendung im großen Erfolg verspricht, vor allem bei Aufnahmen von Neuländern und von solchen, z.B. flachen, Gebieten, die für die Anwendung der terrestrischen Photogrammetrie ungeeignet sind. Wegen aller Einzelheiten sei auf [16] verwiesen.


Literatur: [1] Intern. Arch. f. Photogr., Bd. 5, S. 52; Dolezal, Instrum. Neuerungen, Wien 1915. – [2] Ebend., Bd. 5, S. 228; Hohenner, Ein neuer Universalphototheodolit von Günther & Tegetmayer in Braunschweig sowie seine Prüfung und Berichtigung, Wien 1917. – [3] Ebend., Bd. 4, S. 210; Hugershoff, Das Hugershoff-Heydesche Photogrammeter, Wien 1914. – [4] Ebend., Bd. 5, S. 143; Dolezal, Instrum. Neuerungen, Wien 1916. – [5] Zeitschr. f. Instrum., 1903, S. 133; Pulfrich, Ueber eine neue Art der Herstellung topographischer Karten und über einen hierzu bestimmten Stereoplanigraphen, Berlin 1903. – [6] Ebend. 1919, S. 2; Lüscher, Der Stereoautograph, Modell 1914, seine Berichtigung und Anwendung, Berlin 1919. – [7] Landesk. Forsch. d. geogr. Gesellsch. München 1912, Heft 14: Scheck, Einfache und stereoskopische Bildmessung im reinen Felsgebiet. – [8] Mitteilungen des k. k. militärgeograph. Inst., Bd. 33, Wien 1914: Korzer, Die Stereoautogrammetrie im Dienste der Landesaufnahme. – [9] Eders Jahrb. d. Phot. u. Reprod. 1913, S. 587; Dolezal, Arbeiten und Fortschritte auf dem Gebiete der Photogrammetrie im Jahre 1912. – [10] Finsterwalder, Der Vernagtferner, Verlag d. Deutsch, u. Oesterr. Alpenv., Wien 1897; ferner Blümcke und Heß, Untersuchungen am Hintereisferner, ebend. 1899. Vgl. a. Arch. f. Phot., Bd. 4, S. 139 und Referate von Dolezal, ebend., S. 227 ff. – [11] Arch. f. Phot., Bd. 4, S. 192; Berger, Hauptmann Scheimpflugs aerophotogrammetrische Apparate im Dienste ballistischer Forschung, Wien 1914. – [12] Ebend., Bd. 5, S. 140; Dolezal, Instrum. Neuerungen, Wien 1916; ferner: Die Polizei, 1914, S. 580; Eichberg, Ein neuer Apparat für kriminalistische Tatbestandsaufnahmen, Berlin 1914. – [13] Arch. f. Photogr., Bd. 5, S. 246 u. 251 und Zeitschr. f. Instrum. 1918, S. 17; Pulfrich, Raumbildmeßgeräte für stereoskop. Röntgenaufnahmen, Berlin 1918. – [14] Jahresber. d. Deutsch. Mathematikervereinigung, Bd. VI, Heft 2; Finsterwalder, Die geometrischen Grundlagen der Photogrammetrie, Leipzig 1897. – [15] Sitzungsber. d. math.-phys. Kl. d. kgl. bayr. Akad. d. Wissensch., Bd. 30, S. 160; Finsterwalder, Ueber die Konstruktion von Höhenkarten aus Ballonaufnahmen, München 1900. – [16] Hugershoff und Cranz, Grundlagen der Photogrammetrie aus Luftfahrzeugen, Stuttgart 1919. – [17] Pulfrich, Ueber Photogrammetrie aus Luftfahrzeugen und die ihr dienenden Instrumente, Jena 1919.

Hugershoff.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2., Fig. 3.
Fig. 2., Fig. 3.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 507-509.
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